Bolivien - in den Kirchen der Armen
Religiöses Zuhause
Die Fahrt ist ein kleines Abenteuer. Eine Naturstraße mit bis zu 50 Zentimeter tiefen, zur Hälfte mit Wasser gefüllten Rinnen. „Bei Starkregen schafft es nicht einmal dieser Wagen mit Vierradantrieb,“ sagt Pater Leo, der zu einer Samstagabendmesse in einem Außenbezirk von Santa Cruz, Bolivien, unterwegs ist. In der Dunkelheit hat er Schwierigkeiten, den Weg zu finden. Irgendwo muss er rechts in das mit meterhohem Gras bestanden Gelände abbiegen. Aber wo? Und dann ist da auch noch ein tiefer Graben. Schließlich sieht er einen Fußgänger, der anscheinend das gleiche Ziel wie wir hat. Nun kennt er sich wieder aus.
Mitten auf einer Wiese ein Rohbau, der eher wie ein größeres, einstöckiges Familienhaus aussieht als wie eine Kirche. Fenster, Türen und Inneneinrichtung fehlen noch, ebenso der Wasser- und Stromanschluss. Aber das hindert die Gemeinde nicht, das Gebäude schon jetzt für ihre Gottesdienste zu benutzen. „Das Grundstück wurde uns geschenkt,“ sagt Pater Leo. „In den nächsten Jahren werden viele Zuwanderer hier ihre Hütten und kleinen Häuser bauen. Da ist es wichtig, den Menschen auch ein religiöses Zuhause zu geben.“
Offensichtlich wird dieses Zuhause schon jetzt gut angenommen. Vor allem junge Familien mit ihren Kindern sind gekommen – Menschen, die vielfach am Existenzminimum leben. An der Wand ein großes Blumenkreuz, davor Kerzen, die den Raum in ein mildes Licht tauchen. Ein kleiner Tisch dient als Altar. Jemand hält einen von einer Autobatterie gespeisten Scheinwerfer durch ein Fenster. Es herrscht eine gesammelte Atmosphäre. Ein junger Mann begleitet den Gesang mit der Gitarre. Man spürt, diesen Menschen ist der Gottesdienst wichtig. Ihr Singen und Beten kommt aus dem Herzen. Die Predigt ist eher ein Gespräch zwischen Pater Leo und den Leuten. So lernt er deren Fragen und Probleme kennen.
Nach dem Gottesdienst bleiben die Leute noch etwas zusammen. Sie trinken ein Glas Limonade, essen etwas Gebäck und unterhalten sich. „Für die Leute ist dieser persönliche Kontakt wichtig,“ sagt Pater Leo. „Sie kommen sich menschlich näher und erfahren Kirche nicht nur als Gebets- sondern auch als Lebensgemeinschaft.“
Kirche im Zentrum
P. Leo ist unterwegs zu einer anderen seiner neun Gemeinden. Diesmal sind die Straßen bedeutend besser. Die Kirche ebenfalls ein Rohbau. Die Vorderfront fehlt gänzlich, die übrigen Wände sind bis zu etwa drei Meter hochgezogen. Für den Weiterbau fehlt zur Zeit das Geld.
Einige Leute sind dabei, den Raum herzurichten. Eine Frau balanciert auf einer Mauer, um einen Bund Luftballons anzubringen. Nach und nach treffen die übrigen Gottesdienstbesucher ein. Sie tragen Stühle oder transportieren sie auf Schubkarren.
Die tief stehende Tropensonne bestrahlt mittlerweile fast den ganzen Raum. Nur in einer Ecke gibt es noch Schatten. Also schiebt man den als Altar dienenden Tisch dorthin und lässt sich auf den mitgebrachten Stühlen nieder. 40 bis 50 Leute sind gekommen. „Wir sind eben eine Gemeinde im Aufbau, nicht nur was den Kirchbau betrifft,“ kommentiert Pater Leo. „Bald wird es sich herumgesprochen haben, dass hier regelmäßig Gottesdienst stattfindet. Dann werden viele kommen.“
Da gibt es auch noch eine Gruppe von Männern im mittleren Alter, die die Mauerarbeiten in ihrer freien Zeit erledigen. „Das ist ein guter Platz für die Kirche,“ sagen sie. „Direkt neben dem Grundstück wird demnächst eine Schule errichtet. Eine neue Straße ist ebenfalls in Planung. So entsteht hier ein lokales Zentrum. Und da gehört auch eine Kirche hin.“
P. Ulrich Schmitz MSF