Evangelikale Sekten in Brasilien
Der katholischen Kirche laufen die Mitglieder weg
Evangelikale Sekten in Brasilien
Kampf um Geld und Einfluss
„Zehn Prozent Eures Einkommens müsst ihr Gott geben, dann werdet ihr reich und glücklich.“ Das verkündete der Gründer und Leiter einer großen evangelikalen Sekte Brasiliens mit Millionen von Mitgliedern, auf dem eigenen Fernsehkanal.
Täglich entstehen neue Kirchen in Brasilien und in den übrigen Ländern Lateinamerikas. So gibt es z. B. in Ipameri, einer Stadt von etwa 30.000 Einwohnern im Bundesstaat Goiás, etwa 60 Sektenkirchen. Manche haben nur 20 oder einige hundert Mitglieder. Jeder kann in Brasilien seine eigene Kirche gründen. Wenn es klappt, hat der Pfarrer ein gesichertes Einkommen, wenn nicht, zieht er einfach weiter und versucht es anderswo aufs Neue. Eine eigene Kirche aufzumachen – und sei es in der eigenen Garage – ist zu einer Geschäftsidee geworden.
„Zum Teil gibt es richtige Kirchen-Konzerne, die Videobänder vertreiben mit Anleitungen, wie Pastoren Geld machen können. Sie mieten Werbeblöcke im Radio und verkaufen ein Öl, das vermeintlich aus dem Heiligen Land stammt, aber tatsächlich aus dem Supermarkt nebenan kommt, und mit diesem Öl können sie angeblich Krankheiten nach Belieben heilen,“ berichtet Kardinal Maradiaga aus Honduras.
Die großen Sekten werben täglich im Fernsehen mit Gebets- und Heilungsgottesdiensten. Angeblich Blinde und Gelähmte können plötzlich sehen, verlassen den Rollstuhl und gehen umher. Tatsächlich handelt es sich um inszenierte Täuschungen. Gegen ein geringes Entgelt stellen Menschen sich dafür zur Verfügung.
Da wird die Strategie ausgegeben: „Pfarrer und Bischöfe müssen mehr von Marketing als von der Bibel verstehen.“ Es geht eben nur darum, die Botschaft der Sekte möglichst überzeugend und gewinnbringend zu verkaufen. Dafür gibt es speziell Ausbildungskurse.
Die führenden Köpfe der großen Sekten legen ihre Millionen zumeist in die USA an. Manche haben dort Ihren Wohnsitz. Mittlerweile müssen sich mehrere von ihnen vor Gericht verantworten wegen Steuerhinterziehung, illegalem Geldtransfer ins Ausland und Wäsche von Drogengeldern.
„Aber es geht nicht nur um Geld, sondern auch um politischen Einfluss,“ sagt Dom Guilherme Werlang, Bischof von Ipameri und Mitglied des Ordens der Missionare von der Heiligen Familie. „Inzwischen gibt es viele Sektenmitglieder, die als Abgeordnete, Senatoren und Gouverneure eine gemeinsame Strategie verfolgen: Sie wollen auf lokaler, bundesstaatlicher und nationaler Ebene den Einfluss der Sekten verstärken, um so ihre Ziele effektiver durchsetzen zu können. Dabei geht es ihnen – wie leider auch vielen anderen Politikern – nicht um das Wohl der Menschen, sondern um Macht und Geld.“
Versprechen und Drohungen
Es ist erstaunlich, dass diese Sekten trotzdem großen Zulauf haben. Da ist aufschlussreich, was in einer Fernsehsendung verkündet wurde: „Angenommen, jemand vermietet ein Geschäft und kommt mit dem Mieter überein, dass dieser monatlich zehn Prozent des Gewinns als Miete zahlt. Was wird nun geschehen, wenn der Mieter sich nicht an diese Übereinkunft hält? Er wird vom Vermieter vor die Tür gesetzt und steht mit leeren Händen da. Ähnlich handelt Gott. Wenn ihr ihm nicht zehn Prozent eures Einkommens gebt, wird er euch auch das noch nehmen, was ihr habt.“
Einerseits wird den Menschen Gesundheit, Arbeit und mehr Geld versprochen, wenn sie Gott – das heißt der betreffenden Sekte – den Zehnten ihres Einkommens geben. Andererseits droht ihnen die Strafe Gottes, wenn sie dieser Forderung nicht nachkommen. Selbst von Menschen mit einem monatlichen Mindestlohn von 380 Reais (ca. 100 EUR) wird dies erwartet. „Ihr müsst zuerst Gott geben, was ihm gehört,“ heißt es, „dann wird dieser euch seinerseits überreich belohnen.“ Dieser Mix von Versprechen und angstmachender Drohung funktioniert offensichtlich. So wird der Glaube vieler missbraucht zur persönlichen Bereicherung weniger.
Antwort der katholischen Kirche
Früher waren weit über 90 Prozent der Brasilianer katholisch. Heute sind es nur noch etwa 70 Prozent der Gesamtbevölkerung von ca. 186 Millionen. Bei der Generalversammlung der lateinamerikanischen Bischöfe in Apericida, São Paulo, in 2007 war diese Entwicklung ein Hauptthema.
Es reicht nicht, dass die katholische Kirche sich um eine seriöse religiöse Unterweisung bemüht, die keinen Angst einflößenden Gott verkündet. Es reicht offensichtlich auch nicht, dass sie die Organisation ist, die am stärksten für sozial Benachteiligte eintritt. Sie unterhält Kindergärten und Tagesstätten für Schulpflichtige aus armen Familien, Suppenküchen, Betreuungszentren für verwahrloste Jugendliche und Straßenkinder. Sie setzt sich ein für die Rechte von Kleinbauern, die z. B. wegen eines Staudammprojektes ihr Land verloren, für ehemalige Kleinpächter, die als Landlose am Rande der Straßen unter Plastikplanen dahinvegitieren, weil es für Großgrundbesitzer mittlerweile profitabler ist, Futtergetreide für den Weltmarkt oder Pflanzen zur Erzeugung von Biotreibstoff anzubauen.
„Vielleicht haben zu viele Bischöfe und Priester in der Vergangenheit darauf gewartet, dass die Menschen zu ihnen kommen. Aber so geht das nicht!“, sagt Dom Guilherme. „Im Gegenteil! Wir müssen zu den Menschen gehen, sie dort aufsuchen, wo sie leben. Die Mission der Kirche besteht darin, dass wir die Botschaft Jesu in Wort und Tat bezeugen – Laien, Priester und Bischöfe – und dabei keine Berührungsängste haben.“ Er selbst praktiziert das. Bei Firmreisen geht er auch zu armen Familien und setzt sich mit ihnen zum gemeinsamen Essen zusammen.
Nun hat er mit den Priestern und Laien seiner ländlich geprägten Diözese ein neues Konzept entworfen, mit dem in diesem Jahr begonnen wird. In jeder Pfarrei formieren sich Kleingruppen von zwei oder drei Personen. Diese besuchen jährlich einen Monat lang alle Familien in der Pfarrei – in ihrer Freizeit und ohne jegliches Entgelt. „Die Kirche muss mit den Menschen ins Gespräch kommen,“ sagt Dom Guilherme. „Wir müssen zuhören, um zu erfahren, was sie von der Kirche erwarten. Wir möchten die konkreten Sorgen und Nöte der einzelnen Familien besser kennen lernen und wo möglich gezielt helfen – wenn nötig, auch über einen längeren Zeitraum. Zudem wollen wir über Aktivitäten innerhalb der Pfarrei informieren, denn viele neu Zugezogenen wissen darüber nicht Bescheid.“ Am Ende des Jahres treffen sich die Gruppen zu einer Auswertung ihrer Erfahrungen. Dabei geht es um Fragen wie: Welche Probleme und Wünsche haben die Menschen? Ist unsere Pastoral richtig? Was muss sich ändern?
„Wie Jesus müssen wir als Getaufte immer wieder zu den Menschen gehen. Das ist unsere Aufgabe als Christen,“ sagt Dom Guilherme. Ein pastoraler Grundsatz, der nicht nur für Brasilien gilt.
P. Ulrich Schmitz MSF